aus VOX Nr. 8, Juli 1963

Irren Ist Menschlich 

Das große Schiff stampfte ein wenig. Jonathan Kokos sah auf die Uhr. Halb fünf war es. "Immer kriege ich am Morgen das komische Gefühl im Magen", dachte er. Wie jeden Morgen wollte er aufstehen und sich eine Tablette holen. Leider dachte er heute nicht an das, das über dem Seinen stand und in dem seine Frau schlief.

Prompt stieß er ziemlich fest an die Kante des oberen Bettes. Aufstöhnend sank er zurück und befühlte seine Stirn. Das würde eine ganz nette Beule geben! Er stand auf, diesmal sehr vorsichtig und ging zum Lichtschalter an der Tür. Aber nein! Licht durfte er ja nicht machen. Cecilie würde den ganzen nächsten Tag auf ihn böse sein, wenn sie dadurch aufwachen sollte. Sie konnte doch so schlecht wieder einschlafen! Er nahm ein Handtuch aus dem Koffer, der neben dem Bett stand, öffnete behutsam die Tür und ging den Gang hinunter ins Badezimmer. Nach einigen Minuten kam er mit dem nassen Handtuch zurück. Er fand die Tür seines Zimmers geschlossen. - ?? - Das kam ihm seltsam vor, da er die Tür ganz bewußt nur angelehnt hatte. ..Ich täusche mich doch nicht", dachte er. Jonathans Hobby waren Kriminalstorys. - Doch dann verscheuchte er seinen Verdacht und betrat das Zimmer. Leise machte er die Tür wieder zu. Aber dann glaubte er, neben dem Tischchen, auf dem Stuhl einen Koffer zu erkennen. Vielleicht war das ein falsches Zimmer? Plötzlich leuchtete ihm der Strahl einer Taschenlampe ins Gesicht, und eine Stimme zischte: "Stehen bleiben! Keine Bewegung!" Mr. Kokos griff nach dem Lichtschalter und wollte sich entschuldigen, aber als das Licht aufflammte, stutzte er. Das war ja doch sein Zimmer! Neben dem Koffer stand ein Fremder und hielt eine Pistole auf ihn gerichtet. Die Waffe hatte einen Schalldämpfer. Jonathan sah das sofort. "Machen Sie bloß keinen Lärm!" zischte der Mann wieder. Dabei ging sein Blick von Jonathan weg auf die Pistole und wieder zurück. Mr. Kokos begriff: Er hatte einen Mann vor sich, der zu allem fähig war. "Wo ist der Schmuck Ihrer Frau?" wollte der Eindringling wissen. Aber da begann Jonathans Denkapparat trotz schmerzender Beule wieder zu arbeiten. "Den müssen Sie sich leider aus dem Safe des Dampfers holen", sagte er ruhig. Aber der Fremde ließ sich nicht beirren. "Das stimmt nicht. Ihr Name ist gar nicht eingetragen. Also her mit dem Schmuck, und bißchen dalli!" Von dem oberen Bett kam ein halb unterdrückter Schrei. "Was ist denn los?" fragte Mrs. Kokos verängstigt.

"Der Herr hier möchte gerne Deinen Schmuck mitnehmen, und ich habe ihm gerade gesagt, daß wir ihn im Safe deponiert haben. Aber er will das durchaus nicht glauben." - "Aber der Schmuck ist.. .", weiter kam die gute Cecilie nicht. "Kein Wort mehr" zischte der Einbrecher, und er richtete die Pistole abwechselnd auf Mr. und Mrs. Kokos. Auf dem Gang waren deutlich Schritte zu hören. Sie lauschten. Jonathan nahm blitzartig die Gelegenheit wahr, schaute auf die Uhr und sagte: "Das ist der Boy, der mich wecken soll" Der Fremde sah sich suchend nach einem Ausweg um. "Bitte", sagte Mr. Kokos, "Sie können durch das Fenster klettern .und auf das nächst tieferliegende Deck springen.

Aber schnell, ich möchte keine Unannehmlichkeiten mit der Polizei haben.Sie können beruhigt sein. Auf dem Deck spazieren um diese Zeit noch keine Passagiere umher. Wenn Sie geschickt sind, können Sie noch einmal davonkommen. "Die Schritte kamen " immer näher, und dem Fremden blieb keine andere Wahl, unerkannt zu entkommen. Er öffnete das Bullauge und stieg auf den Tisch, der davor stand, nicht ohne noch einmal mit der Pistole zu drohen. Draußen war es noch dunkel. Der Einbrecher streckte die Beine durch das Fenster, wobei er die Pistole noch· immer auf Jonathan und seine Frau gerichtet hielt. Dann ließ er sich langsam hinunterrutschen und verschwand schließlich. Gerade noch früh genug. Die Schritte waren inzwischen bei der Tür angelangt, die Klinke wurde niedergedrückt und zu Mr. Kokos' Erstaunen trat ein anderer Mann in das Zimmer. Er entschuldigte sich jedoch sogleich, er hätte sich im Zimmer geirrt.

Jonathan lachte erleichtert auf, aber dann wurde er wieder ernst. "Siehst Du, es ist doch besser, den Schmuck im Safe unterzubringen!" sagte er zu seiner Frau. "Ich habe es ja schon immer geraten." "Wenn er nun aber das nächste Mal den Safe knackt, was ist dann?" fragte Cecilie. Aber' Mr. Kokos beruhigte sie. "Der knackt den Safe bestimmt nicht! Hast Du denn vergessen, daß wir hier direkt unter dem untersten Deck wohnen? Da draußen kommt keins mehr". "Aber dann ist er ja..." "Genau, und wie der ist!" Jonathan freute sich. Hier hatte er einen Beweis für seinen Scharfsinn. Mrs. Kokos meinte: "Und in Deinen Koffer lege ich meinen Schmuck nicht noch einmal!" Dazu sollte sie allerdings auch keine Gelegenheit mehr haben. Denn als sie das Kästchen mit dem Schmuck herausnahm, schrie sie auf. Die Schachtel war leer. Und Jonathan konnte sich noch dunkel daran erinnern, daß die Hosentaschen des Mannes so seltsam verformt gewesen waren, obwohl er Taschenlampe und Pistole in der Hand gehalten hatte.
C. Burschka