aus Vox Heft 8, 1963

| Am 27. November 1930 wurde Frau Tölle
      in unserer Kreisstadt Moers geboren. Ihre früheste Jugend- und Schulzeit
      verbrachte sie also ganz in der Nähe ihres heutigen Wirkungskreises. Nach
      erfolgreichem Besuch der ersten Grundschuljahre wechselte sie im Herbst
      1941 in das Moerser Gymnasium über. Ich glaube, man sollte hie, nicht
      unerwähnt lassen, daß in diesem wie in den vorhergehenden Jahren der
      Schulbeginn noch im Herbst lag, in der folgenden Zeit aber auf Ostern
      verlegt wurde, und Frau Tölle somit das Pech hatte, die Schulbank ein
      halbes Jahr länger als üblich zu drücken. Die nun folgende Schulzeit in
      der Unter- und Mittelstufe, die noch in der Kriegszeit lag, wurde durch
      die ständigen Luftangriffe sehr erschwert. Der Unterricht fand dann zum
      größten Teil in den Kellergängen des Gymnasiums statt, und an ~in
      richtiges lernen war überhaupt nicht mehr zu denken. Schließlich wurde
      die Schule Degen Ende des Krieges bei einem Luftangriff zerstört. Bis zur
      Wiederaufnahme des Unterrichts mußten zwei Jahre verstreichen. Während
      dieser zwei Jahre nahm Frau Tölle mit mehreren Klassenkameraden, die
      genau wie sie Fahrschüler waren, an einem provisorischen
      Gruppenunterricht in ihrem Elternhaus in Repelen teil, zu dem die
      unterrichtenden Lehrer unter denkbar schlechten Bedingungen von Moers
      herauskamen. Die kurze Fahrzeit von Repelen bis Moers wurde wegen der ständigen
      Luftangriffe immer wieder unterbrochen und dauerte dann stundenlang.  Befragt nach ihren Lieblingsfächern antwortete Frau Tölle
      uns: "Deutsch, Geschichte und Sprachen hatte ich schon während
      meiner Schulzeit besonders gern." Daher war ihr Wunsch, Lehrerin zu
      werden, nur allzu verständlich. Bis zur Verwirklichung dieses Wunsches
      vergingen jedoch noch einige Jahre intensiver Arbeit.  In den ersten Jahren nach dem Krieg lag, wie Frau Tölle
      es selbst nannte, ihr "schönstes Erlebnis", die Fahrt nach
      England. Dieser sechswöchige Englandaufenthalt bei Freunden und
      Verwandten war damals im Jahre 1949 etwas ganz besonderes. Am meisten überraschte
      Frau Tölle die herzliche Aufnahme und der gute Kontakt mit den Menschen,
      die wenige Jahre zuvor noch als "erbitterte Feinde" der
      Deutschen galten. Das Programm in jenen Ferien war 'sehr vielseitig, und
      die Wochen vergingen daher wie im Fluge. Den größten Eindruck hinterließ
      ein vierzehntägiger Aufenthalt in einem internationalen Jugendlager in
      Lee Abbey bei Lynton, Lynmouth, in dem sie mit Schülern und Studenten aus
      aller Welt zusammentraf, und wo das Diskutieren natürlich kein Ende fand.
      Ein schöner Höhepunkt dieser ersten Englandreise war damals der Besuch
      der Shakespeareaufführung in Stratford-on-Avon "A Midsummer Nights
      Dream" (Sommernachtstraum). Ostern 1951 legte Frau Tölle dann ihr
      Abitur ab und immatrikulierte an der Universität Münster. Dort studierte
      sie Deutsch, Englisch und Französisch. Schon im Sommer 1953 trat sie ihre
      zweite Englandfahrt an, diesmal jedoch, um dort ein Trimester lang zu
      studieren. Auch diese Zeit des eigentlichen Studiums in England von
      Oktober bis Dezember, das sogenannte "Michaelmas Term", war für
      Frau Tölle von großer Bedeutung. Sie lernte dort die ganz andere Art des
      englischen Studiums kennen, das sich vom deutschen durch die stärkere
      Konzentration auf wenige Fächer, durch eine stärkere, fast klassenmäßige
      Einteilung der Studenten nach ihren Studienjahren und die sehr starke
      Spezialisierung auf schließlich nur ein Fach wesentlich unterscheidet.
      Sehr vorteilhaft unterscheidet sich das englische Studium vom deutschen
      durch das "tutorial system". Es bedeutet, daß ganz wenige
      Studenten, etwa 2 oder 3 jeweils einem Tutor zugeteilt werden. Der Tutor
      ist entweder ein Universitätsprofessor, Lektor oder Dozent. Das Arbeiten
      in diesen kleinen Gruppen ist natürlich besonders intensiv und bietet die
      Möglichkeit, jeden Studenten persönlich zu fördern. Auch ist der
      Kontakt mit anderen Professoren durch kleinere Arbeitsgemeinschaften und
      Seminare viel enger als an deutschen Universitäten. Abgesehen von diesen
      Arbeitsgruppen haben die englischen Universitäten eine Menge
      verschiedener Clubs etwa "debating society, photography group",
      die von den Studenten in ihrer Freizeit sehr stark besucht werden und die
      Gemeinschaft unter den Gleichinteressierten gut fördern.  Im Herbst 1956 legte Frau Tölle ihr Staatsexamen in Münster
      ab. Während der beiden Referendarjahre unterrichtete sie in Ruhrort und
      Duisburg und machte im Herbst 1958 ihre Assessorprüfung. Nach einem
      weiteren halbjährigen Aufenthalt an einer anderen Schule kam sie dann an
      das Rheinhauser Gymnasium. Als wir Frau Tölle abschließend nach ihren
      Hobbies fragten, bekamen wir die wohl kaum erstaunliche Antwort:
      "Meine besonderen Interessen gelten der Literatur, dem Theater und
      dem Reisen." 
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